Alle Beiträge von Dr. Andreas Bischof

Gesundheitssektor: Performance vs. Bewertung

Der Jahreswechsel liegt gerade hinter uns, und üblicherweise ist dies der Zeitpunkt für Blicke nach vorne und zurück. Werfen wir also ganz kurz einen langen Blick zurück und betrachten die Wertentwicklung des Gesundheitssektors in den letzten 10 Jahren als auch seine Bewertung.

Quelle: Refinitiv, MSCI, nova funds

Der globale Gesundheitssektor gewann in den 10 Jahren von 2012 bis 2021 ca. 278% an Wert hinzu und übertraf dabei den weltweiten Gesamtmarkt um ca. 66%. Weit dahinter liegt der DAX mit einem Kursplus von nur 167%.

Aber ist der Gesundheitssektor vor dem Hintergrund seiner überdurchschnittlichen Wertentwicklung nun auch überdurchschnittlich teuer? Nein, ganz im Gegenteil. Die relative Bewertung des Gesundheitssektors liegt per Ende Dezember 2021 ca. 5% unter der des Gesamtmarktes, basierend auf dem Kurs-Gewinn-Verhältnis der nächsten 12 Monate. Dieser aktuelle, fünfprozentige Bewertungsabschlag vergleicht sich mit einer historischen Bewertungsprämie von ca. 4% im Durchschnitt der letzten 10 Jahre. Von einer überdurchschnittlichen Bewertung des Gesundheitssektors kann also aktuell keine Rede sein.

Quelle: Refinitiv, nova funds

Red Friday statt Black Friday

Der Tag der Rabattschlacht war dieses Jahr mehr rot als schwarz, zumindest am Kapitalmarkt. Die Kurse stürzten auf breiter Front, befeuert durch die neue Omikron-Variante und daraus resultierenden Ängsten. Hier ein genauerer Blick.

Die Kursentwicklungen der 11 Börsensektoren am vergangenen Freitag verliefen im Großen und Ganzen lehrbuchmäßig. Am wenigsten verloren die defensiven Sektoren Gesundheit (-1,3%), Consumer Staples (-2,1%), Versorger (-2,5%) und Telekommunikationsdienstleister ( -2,7%), die allesamt weniger verloren als der Gesamtmarkt (-3,1%). Am meisten verloren hingegen die konjunkturabhängigen Sektoren Konsumgüter (-3,5%), Finanzdienstleister (-4,2%) und Energie (-5,3%).

Wie sah es innerhalb der Gesundheitssektors aus? Dort existierte tatsächlich eine Subindustrie, die am Red Friday im Plus schloss, Life Sciences Tools Services, die biomedizinischen Zulieferer also. Biotechnologie schloss quasi unverändert, gefolgt von den Technologieaktien des Gesundheitssektors (-0,9%). Pharmawerte verloren 1,1%. Mehr als die 1,3% des Gesundheitssektors verloren seine Subindizes Healthcare Equipment & Supplies (Medizintechnik, -2,5%) und der Subindex Healthcare Providers & Services , der an diesem Tag 3,1% verlor und Gesundheitseinrichtungen, Groß- und Einzelhändler, Krankenversicherer sowie Dienstleister im engeren Sinne umfasst.

Wenige Gewinner und viele Verlierer Unter den mehr als 900 Gesundheitsaktien mit einer Marktkapitalisierung von EUR 1 Mrd. oder mehr haben ca. 27% am Red Friday im Plus oder quasi unverändert geschlossen. Spitzenreiter war die US Biotechnologiefirma Adagio Therapeutics mit einem Plus von ca. 34%, da das Management erwartet, dass Adagios COVID-19-Medikamentenkandidat auch gegen die Omikron-Variante wirkt. Auf Platz 2 landete mit einem Plus von 21% Coronavirus-Impfstoffherstellerin Moderna, während ihre deutsche Wettbewerberin BioNTech ca. 14% hinzugewann.

Im Gegensatz zu diesen erfreulichen Überraschungen verlor am Red Friday jedoch der ganz überwiegende Teil (73%) dieser über 900 Gesundheitsaktien an Wert, teilweise deutlich. Die 3 größten Kursverluste waren alle in Asien zu finden (alle ca. -13%),  darunter 2 Biotechnologieunternehmen (Guangdong Hybribio Biotech, Keymed Biosciences) und ein Medizintechnikunternehmen (Shanghai ZJ Bio-Tech).

Soweit die Bestandsaufnahme zum Red Friday. Gesundheit ist unverzichtbar – auch im Depot.

Apothekenketten mitschuldig an über 200.000 Toten

Schuldig im Sinne der Anklage. Die US Apothekenkettenbetreiber CVS Health, Walgreens Boot Alliance and Walmart sind mitschuldig an der Opioid-Krise in den USA, befand eine Jury nach sechstägigen Beratungen. Durch Missbrauch von verschreibungspflichtigen Opioiden starben in den USA in letzten 20 Jahren zwischen 200.000 und 500.000 Menschen.

Somit wird US Richter Dan Polster in den nächsten Monaten die Höhe der fälligen Zahlungen an die 2 Kläger, Lake und Trumbull County, 2 Landkreise in Bundesstaat Ohio, bestimmen. Die Aktienkurse der drei Firmen reagierten kaum und schlossen sogar leicht im Plus.

Dieses Urteil, gegen das die 3 Firmen Berufung einlegen werden, ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs aus über 3.300 anhängigen Klagen gegen Hersteller, Großhändler und Apothekenketten. Parallel zu diesen Gerichtsverfahren laufen diverse Anstrengungen, außergerichtliche Einigungen zu erzielen. So haben die 3 US Großhändler McKesson, Cardinal Health, Amerisource Bergen sowie der Medikamentenhersteller Johnson&Johnson im Sommer eine USD 26 Mrd. schwere außergerichtliche Einigung vorgeschlagen, die von den beteiligten Parteien bisher weder definitiv akzeptiert noch abgelehnt wurde. Die Gemengelage ist schließlich außerordentlich komplex.

Öffentliches Ärgernis („public nuisance“) ist der Tatbestand, dessen die drei Firmen für schuldig befunden wurden. Dies ist  nun wahrlich ein sehr vager Begriff, mittels dessen man beispielsweise auch gegen die Geruchsbelästigung durch eine nahe gelegene Fabrik klagen könnte. Einen konkreteren, klarer umrissenen Klagegrund konnten die Kläger wohl nicht finden vor dem Hintergrund, dass in den allermeisten Fällen die Schmerzmittel, deren Suchtpotenzial schließlich seit langem bekannt war, nur auf Vorlage einer ärztlichen Verschreibung abgegeben wurden. Auch die meisten Hersteller dieser Medikamente, die mittlerweile insolvente Purdue Pharma einmal ausgenommen, produzierten diese im Rahmen von Recht und Gesetz.

Insofern darf man fragen, warum die Kläger, meist US Bundesstaaten, Landkreise und Staatsanwaltschaften, die aktuell am Pranger stehenden Firmen so stark in die Verantwortung zu nehmen versuchen? Waren vielleicht nicht auch Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden viel zu lange untätig? Wie steht es um die Schuld von kriminellen Akteuren und skrupellosen Ärzten, die die Verschreibungen ausstellten? Leider kann man bei Ärzten und Kriminellen keine Milliardensummen eintreiben. Bei großen börsennotierten Unternehmen hingegen schon. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Amazon Care gewinnt ersten Großkunden

Amazon expandiert weiter in den Gesundheitssektor. So hat Amazons noch junge Gesundheitssparte Amazon Care einen ersten Großkunden gewonnen.

Amazon Care wurde 2019 gegründet, um Amazons Angestellten im Großraum Seattle im Rahmen eines Pilotprojektes virtuelle Medizindienstleistungen wie beispielsweise Video-Konsultationen mit Ärzten anzubieten.

Seit Sommer 2021 aber macht Amazon ernst und bietet Amazon Care auch anderen Firmen an.  So hat Amazon Care mit der Hotelkette Hilton International Holdings Inc. nun einen bekannten Großkunden gewonnen, dessen Mitarbeiter in den USA mit Beginn des Jahres 2022 Amazon Care nutzen werden.  Dabei folgt Hilton Precor, einem Hersteller von Fitnessgeräten.

Die Nachfrage nach Video-Konsultationen hat während der Coronapandemie stark zugenommen, so Amazon. Während Amazon dafür bis auf Weiteres Ärzte nutzen will, ist beabsichtigt, künftig dafür Künstliche Intelligenz einzusetzen, sobald diese ausreichend verlässlich funktioniert .

Was bedeutet dies? Alles halb so aufregend. Natürlich sollte man Amazons Aktivitäten im Gesundheitssektor weiter aufmerksam beobachten,  aber de facto lassen sich nur wenige der ärztlichen Tätigkeiten online abwickeln. 

Blutabnahmen, Ultraschalluntersuchungen, EKGs, Abhorchen, Abtasten und vieles andere lässt sich in der gebotenen Qualität weder online noch vom Patienten selbst bewerkstelligen, um hier nur einige wenige Beispiele zu nennen. 

Zudem hat Amazon diese 2019 ins Leben gerufenen Aktivitäten bisher nur  in den USA lanciert. Medizinische Dienstleistungen werden – wegen ihrer großen Wichtigkeit – in allen Ländern stark reguliert und beaufsichtigt. Und natürlich unterscheiden sich die Regularien von Land zu Land.  Insofern ist es für Amazon deutlich anspruchsvoller, dieses neue Dienstleistungsangebot aus den USA in andere Ländern zu exportieren als dies beispielsweise beim Buchhandel der Fall war und ist.